Nachlese einer wunderbaren Herbstreise

Ende Oktober, an einem strahlend, schönen Herbsttag hab ich eine Reise gemacht.

Ich habe Wunder am Straßenrand entdeckt

An einem Rastplatz im Moseltal die Schönheit der Linien und die Macht des Schattens: Er macht das Licht.
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An der Raststätte Moselblick/Tal entdeckte ich diese Riesensonnenuhr.

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Und dieses Kaninettstückchen des „Malers Herbst“ das mit seiner Farbintensität überzeugt.
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Hier fand ich auch den Baumelf,

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auf einer verwitterten Treppe dieses Kistchen mit funkelnden Herbstschätzen,
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Und die blättrige Dreiecksgeschichte, die sich selbst einen Gedenkstein gesucht hatte.

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Die Farben der Zeit

Das kleine Mädchen sitzt am Tisch und malt mit Wasserfarben.
Ein Herbstbild hat sie sich vorgenommen und hat mit roten Wangen, sehr konzentriert und sehr sorgfältig mit einem Bleistift die Form verschiedener Blätter auf ein großes Papier gezeichnet. Ich erkenne ein Ahornblatt, eine Eiche und in der Mitte, raumfordernd, die fünf Finger eines Kastanienblattes.

Jetzt hat sie sich auf den Stuhl gekniet um ihr Werk mehr im Blick zu haben und mischt die Farben des Tuschkastens. Das Ahornblatt bekommt ein kräftiges, feuriges Rot in die Mitte, das Kastanienblatt einen krakeligen braunen Rand. In das feuchte Rot wird ein dicker Tropfen sonniges Gelb gekleckst und ein paar Sprenkel Grün und Orange beleben das Braun. Faziniert beobachtet das Kind wie die Farben auf dem Papier ineinanderlaufen, sich zu einer neuen Farbe zusammenmischen, Muster bilden.

„Warum werden die Blätter eigentlich bunt im Herbst ?“ fragt die Fünfjährige. Ich erkläre ihr, dass sich das Chlorophyll zersetzt und die roten und gelben Blattfarbstoffe übrig bleiben. „Hmmh, sind die denn auch die ganze Zeit da?“ fragt sie noch mal nach und ich nicke. „Und warum geht das Grün weg ?“ hakt sie nach und pinselt einen dicken Klecks Ocker auf das Eichenblatt. „Weil seine Zeit um ist ! “ sage ich,“ im Herbst ist die Zeit für Rot und Gelb und Braun. Grün ist die Farbe für Frühling und Sommer.“ Das Kind malt weiter, versonnen und nachdenklich blickt sie auf ihr Werk, lässt die Farben ineinanderlaufen. Ich wende mich meinem Buch zu, draussen vor dem Fenster dunkelt es und erste, feine, graue Dunstnebel heben sich in den herbstlichen Spätnachmittag. Es ist sehr still im Zimmer ich höre die Wanduhr ticken und das leise Wischen des Pinsels auf dem Malpapier.
„Mama?- Hat Zeit eigentlich eine Farbe?“ Ich bin sprachlos. “ Nein, sage ich dann, da die Uhrzeit eigentlich nur eine Erfindung der Menschen ist und real gar nicht existiert, hat sie wohl keine Farbe.“ „Und warum ist dann der Oktober Golden und der Mai Grün? Monate sind doch Zeit-oder?“ „Mhm, die Monate sind eine Zeiteinheit, aber die Farben bekommen sie nach der Natur , nach den Jahreszeiten. Im Herbst färbt sich das Laub, im Mai werden die Bäume Grün, da hat man die Ereignisse in der Natur auf den Zeitraum übertragen“ Ich hoffe das Kind ist nun mit der Antwort zufrieden. Irgendwie nimmt das Gespräch eine Wendung, die mir unangenehm wird. „Und warum sagst du dann, du liebst die blaue Stunde? Warum gehst du auf den bunten Abend und Mama, — warum haben Menschen dunkle, ja schwarze Minuten, Stunden und Tage? “
„Ja, ich glaube du hast recht du Naseweis,“ sage ich versonnen. Vielleicht hat Zeit doch eine, nein besser, viele Farben. Tönungen , die wir vergeben, je nachdem, wie wir uns fühlen. Der Sommertag, der für den einen blütenbunt und sonnengelb ist, scheint für den anderen gewitterdunkel und regengrau.“ „Ja, so ist das wohl „meint meine Tochter und setzt einen letzten Klecks Orange in ihr Herbstblätterbild. „Mhmm, was für eine Farbe hatte denn heute Nachmittag für dich? „frage ich sie lächelnd. Stumm deutet sie auf das Papier mit dem Herbstblättergemälde, „wenn ich noch was von deinem Glitzernagellack haben könnte, von dem goldenen , dann hätte es fast die Farbe von heute Nachmittag,“sagt sie grinsend.

Ich hole ihr den Nagelack und sie pinselt an einigen wenigen Stellen den goldenen Glitter auf das Bild „jetzt brauch ich nur noch etwas von deinem Parfüm, Mama , dann riecht es auch noch wie unserer Nachmittag heute. “ Ich nehme mein Kind gerührt in den Arm und denke, während sie sich an mich schmiegt, das ich diesen funkelnden, rotgoldenen Herbstnachmittag eh nicht vergessen werde und das dieser Moment für mich, auf immer und ewig, den sanften Goldton ihrer Haare haben wird.

Zeit, das hab ich damals gelernt, hat unendlich viele Farben und manchmal hat man das Glück, das die Erinnerung an den Zauber eines schillernden Augenblicks das Grau eines traurigen Tages erhellt.

© Anne Varnhorn