Requiem für einen Zuckertopf

Für meinen alten Zuckertopf

Eben, grade bist du mir
Mit einem leisen, atemlosen Knacks zerbrochen.
Ich hing mit herzverklärter Nostalgie an dir,
Eine alte Tasse fiel auf dich,
Beim schnöden Putzen nach dem Kochen.

Weiss wie Gebein und zuckerleer,
Liegt vor mir dein porzellaner Scherbenhaufen.
Ich liebte dich so viele Jahre sehr,
Man kann dich lang schon nicht mehr kaufen.

Ich habe deine Scherben aufgelesen
und in ein Schachtelchen zur ew’gen Ruh gebettet,
Du bist mir 30 Jahre treu gewesen,
hast „Bitter“ mir, und „Sauer“, oft nach „Süß“ gerettet.

Du wirst mir fehlen
an den dunklen Winternachmittagen,
wenn hübsch du mir den schwarzen Tee versüßt,
auch werden Freunde nach dir fragen,
und dich vermissen: Sei gegrüßt!

Ich weiß nicht, vielleicht kann man dich noch kleben?
Viel Hoffnung hab ich nicht: Das wärst nicht du!
Ich blick auf Scherben und so viele Jahre Leben,
und mache weinend deine Schachtel zu.
© A.V

Weil du bei jedem Treffen mit Freunden auf dem Tisch ein gemütliches Plätzchen gemacht hast und so manchen letzten Kaffee aus deinem Bauch heraus gesüßt hast.

Folgenden Eintrag schrieb ich ganz am Anfang meiner Blogzeit im 0ktober 2005.

Mein alter Zuckerpott

Spruch des Tages
Die Erinnerung ist ein Fenster, durch das ich sehen kann, wann immer ich will.
(unbekannt)

Ich habe einen um die 100 Jahre alten Zuckerpott. Aus Fürstenberger Porzellan, weiß, mit einem schmalen, dunkelblauen-goldenen Band unter dem oberen Rand, bauchig, mit zwei Henkeln seitlich.

Kein schmalbrüstiges, kalorienbewußtes Zuckerschälchen, nein, mein Zuckerpott ist was für Kenner! Da passt ein ganzes Pfund Zucker rein und man braucht einen Teelöffel mit langem Stiel, um ihn wieder raus zu bekommen. Ein richtiger hand-und standfester Zuckertopf eben.

Er begleitet mich schon fast 30 Jahre. Ich fand ihn, als wir, mein Exmannn und ich, unsere erste, gemeinsame Wohnung nahmen, in einem alten, sehr alten, verkommenen, ehemaligen Bauernhaus. Er stand in einem wurmstichigen Jugendstilschrank hinter den blinden Scheiben des Vitrinenaufsatzes. Verdreckt war er, ich hab ihn gefunden als ich den Schrank aufarbeiten wollte. Ich weis‘ noch das ich erst Blumen reingetan hab, Wiesenschaumkraut und Kornblumen, wir waren grad erst eingezogen und ich konnte keine Vase finden.

Indirekt war er schuld an dem ersten, ernsthaften Streit mit meinem späteren Exmann.

Ich hatte gekocht an diesem Abend und den Tisch mit extra besorgten Platzsets aus blauem Bast, Kerzen, und eben jenem Zuckertopf mit Wiesenblumen gedeckt.
„Was hast du denn vor?“, fragte E. damals misstrauisch, „willst wohl einen auf Familiengründung machen? Aber nicht mit mir , schlag dir das aus dem Kopf!“ Er meckerte übers Essen, er meckerte über die Tischdecke, er meckerte über den Zuckerpott.
Ich weinte, ich liebte ihn doch so, nein, ich wollte keine Familie gründen, oder vielleicht doch?

Jedenfalls gab ein Wort das andere, wir wurden immer lauter und schließlich packte ich meine Bettdecke, meine Katze, meinen Staubsauger und eben jenen Zuckertopf samt Blumen und Platzdeckchen, in mein türkisfarbenes Datsuncoupè (ich war so unglaublich stolz auf dieses Auto damals) und brauste mit quietschenden Reifen vom Hof.

Ha, dieser Vollidiot, sollte er doch ohne mich zurecht kommen und mit seinen WG-Saufkumpanen unter die Räder kommen!

Tränenblind fuhr ich aus der Hofeinfahrt auf die Landstrasse, es fing an in Strömen zu regnen, und, nach hundert Metern hatte ich einen Platten. Ich saß heulend im Auto, schimpfte auf E. und seine Kumpels und auf mich, weil ich so blöd war, und auf die Katze, die sich aus ihrem Katzenkorb befreit hatte, und anfing panisch im Auto zu maunzen und die Bastdeckchen zerlegte…. Kurz ich war einem Zusammenbruch sehr nah.

Beim Verlassen des Hofes war ich unserem Mitbewohner fast über die Füße gefahren und er hat wohl ein ernstes Wort mit E. gesprochen. Er hat es mir fast 20 Jahre später auch mal gesagt was er E. damals sagte.

Kurze Zeit später stand mein reuiger Geliebter vor mir, mit einem alten Regenschirm und schuldbewußtem Gesicht, und bat mich doch zurück zu kommen. Der Wagen sei sowieso platt, er würde mir nachher den Reifen wechseln, … und ausserdem würde er mich lieben…! Ich saß schluchzend in dem Auto und konnte gar nichts machen. Er nahm den Kater beim Schlafittchen, schnappte sich den Zuckerpott und die Decke vom Beifahrersitz und spurtete durch den Regen die wenigen Meter zurück ins Haus. Ich trottete ihm hinterher unter dem alten, löcherigen Regenschirm und hatte nur Sorge, dass er den Zuckertopf nicht fallenließ. Wir versöhnten uns an diesen regnerischen Tag im Frühsommer des Jahres 1975, wir gründeten eine Familie, der Zuckertopf hat inzwischen auch die verlustreiche Scheidung und 4 Umzüge überstanden.

Er steht immer noch in meiner Küche und eigentlich will ich ihn gar nicht mehr benutzen, weil er doch kaputt gehen könnte und ich so viele Erinnerungen mit ihm gemeinsam hab. Aber er ist doch so praktisch und robust.

Immer, wenn ich ihn auf den Tisch stelle, wenn ich mit Freunden gemütlich Kaffee oder Tee trinke, bewundert ihn Irgendjemand: meinen robusten, wunderschönen, alten, praktischen, weißen Zuckerpott mit dem schmalen dunkelblauen Bandmuster aus feinstem Fürstenberger Porzellan.
© A.V 2005

Nachtrag am 1.12.2008

Du hast immer in meiner Küche gestanden, wie Reinhard Mey ist mir und meinen Freunden, das der liebste Platz:
Ma Cuisine!

10 Gedanken zu “Requiem für einen Zuckertopf

  1. wenn uns schönes an schlimmes erinnert, und wir uns dennoch nicht trennen können, dann muss das unbewusste einschreiten, und etwas schlimmes anstellen, auf dass es wieder zu etwas schönem führt…

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  2. oh man, ich hab dieses Stück echt geliebt, tom. normalerweise hänge ich mein Herz nicht an solche Dinge wie Geschirr oder Einrichtungsgegenstände, aber bei meinem Zuckerpott habe ich vorhin echt Tränen vergossen. Er hat zu den Dingen gehört, die ich gern vererben wollte. Es war mir eine schöne Vorstellung, hätte meine Tochter ihren Kindern in ferner Zukunft, aus diesem Topf ein wenig Zucker auf die Pfannekuchen streuen können.
    Ich habe eine Obstschale von der ich weiss, dass meine Großmutter sie schon von ihrer Mutter bekommen hat.
    Jedesmal wenn ich ein wenig Obst hineinlege denke ich, wieviel Äpfel und Apfelsinen, wieviel Trauben, wohl schon in dieser Schale gelegen haben.
    Auch wenn das lächerlich erscheint, ich bin wirklich sehr traurig über den Verlust dieses Zuckerpotts.
    Lg Anne

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  3. Liebe Anne,

    das ist ein sehr schönes Gedicht, und dass Du den alten Eintrag dazu gestellt hast, macht es noch schöner.
    Den kleinen Dingen, mit denen uns so viele Erinnerungen verbinden, die wir nie in besondere Worte gekleidet haben, dann „posthum“ so etwas zu widmen, erscheint mir nicht nur fair, sondern wichtig für uns selbst.

    Ich habe in den vwergangenen zwei Jahren arg viel über die sogenannten „Letzten Dinge“ geschrieben. Die Auseinandersetzung mit der Biographie von Ricarda Huch hat mich ins Grübeln gebracht. Ich sollte auch öfter über „Zuckertöpfe“ schreiben.

    Sehr liebe Grüße
    Chris

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  4. ich verstehe dich voll und ganz, das darfst du mir glauben! mir selbst würde es bestimmt genauso gehen, vielleicht eben auch mit einer zuckerdose… da gab es übrigens etwas, das passt, fällt mir gerade ein: beim letzten besuch bei meiner mutter fragte ich sie, wo denn die schöne zuckerdose sei, die mein geliebter onkel erich (ein sehr spezieller mensch, dem ich viel zu verdanken habe) bei sich stehen hatte, solange er lebte, und die ich schon als kind immer bewunderte. sie war im chinesischen stil, mit zwei kleinen löwen rechts und links und ganz viel gesprenkel und gold drauf, also nicht glatt. sie war nach seinem tod in der vitrine meiner eltern, meine ich mich zu erinnern. ach, sagte meine mutter, das alte ding? habe ich weggeschmissen… — so kann man auch verlustig gehen…

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  5. Fein das es dir gefällt, das freut mich wirklich sehr.
    und das du das Küchen-Lied von Reinhard/Frederik May noch nicht kanntest, freut mich auch. Ich habe es bei Freunden im Elsass das erste mal gehört. Je älter ich werde, ( hört sich schrecklich an) desto wichtiger erscheinen mir die kleinen unwichtigen Dinge an denen wir unsere „persönliche Zeit“ messen, die Lieblingshandtasche, die alte Kaffeekanne, das von Großmutter gestickte Damasttischtuch, das einen kaum noch sichtbaren, aber hartnäckigen, Kaffeerand hat, seit Onkel Otto auf Monis Kommunion vor 35 Jahren, die Tasse nicht auf die Untertasse stellte..
    Ganz liebe Grüße
    Anne

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  6. Hallo Anne 🙂

    Ich bin froh, Dich zu „sehen“. Freunde vermuteten, dass Du bei Deinem letzten Eintrag abgestürzt warst, und ich war nicht sicher, ob das ein technischer Absturz war oder etwas Ernsteres.

    Soviel kann ich Dir versichern, dieser Eintrag hier hat mich jedenfalls sehr animiert, mich auch mal wieder dichtend und schreibend den „Kleinigkeiten“, die uns soviel bedeuten können und deshalb soviel sagen, zu widmen. 🙂

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  7. Technisch, perfekter Absturz? *lach* Ich glaub, in sowas bin ich ganz stark! Da hast du mir schon wieder ein Wortgeschenk gemacht. Muss ich mir merken für den nächsten Katastrophenfall.
    Lieb, dass du dir Sorgen machst.
    Es geht mir nicht wesentlich schlechter als sonst auch, was nicht gut bedeutet, aber mit diesem „Geht so“ kann ich mich arrangieren.
    Sei lieb gegrüßt,
    Anne

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