Toptenlisten und andere Irrtümer

Eigentlich ist das ein Kommentar zu einem Beitrag aus dem Teppichhaus, aber er war mir zu lang und ich wollte Jules blog nicht damit zumüllen 😉
Deshalb steht er ausnahmsweise hier. Obwohl ich eigentlich das Thema ausgereizt finde muss ich jetzt denn doch leider ein wenig weiter ausholen. Ich verspreche, es ist das letzte Mal.

Vor fast 25 Jahren habe mal bei einem sozialpolitischen Modelprojekt der Uni Hannover und des Landes Bremen mitgearbeitet.
Damals haben wir flächendeckend im Land Bremen jede Familie besucht, die ein Kind bekommen hatten und Betreuung und Rat und Hilfen angeboten bis die Kinder das erste Lebensjahr vollendet hatten.
Ich habe viel gelernt in diesen Jahren, über meinen Beruf, über Kinder und Eltern und am meisten wohl über die Menschen und ihr Bestreben glücklich zu sein bzw. zu werden, sprich über unsere Gesellschaft.

In den ersten Monaten dieser Arbeit bin ich jeden Abend heulend nach Hause gekommen. Ich war fix und alle und meistens konnte ich meinem Mann damals nicht mal erklären warum ich denn weinte.

Heute weiß ich was mich damals so fertig gemacht hat. Es war die ernüchternde Feststellung, das das Gros unserer Bevölkerung sehr zufrieden war mit den Billyregalen von Ikea und den als Buchrücken getarnten Videocassetten in der Schrankwand. Ich habe Frauen getroffen, die trotz, oder wegen ihres Magistergrades, mit der Pflege eines Neugeborenen hoffnungslos überfordert waren und sich für Versager hielten, wenn die Handtücher im Bad nicht nach dem Goetheschen Farbkreis oder dem Stand der Sonne ausgerichtet waren. Vor allen Dingen habe ich unendlich viele Menschen kennengelernt.

Jeder von uns lebt in Beziehungen und die Wahl unserer Freunde und Bekannten ist alles andere als zufällig. Durch unsere Art zu leben ziehen wir eine bestimmte Bevölkerungsschicht an, anderen kommen wir nicht nah und wieder andere wechseln die Straßenseite wenn sie uns sehen. Das die Auswahl meines Freundeskreises selektiv ist und das mein Lebensstil für andere sehr exotisch und fragwürdig ist, das war eine bittere Pille für mich damals , denn ich war so naiv zu glauben das sich die meisten Menschen auch für das interessieren was mich berührte oder traf. Ich habe politische, am Leben und an ihrer Umwelt gestaltend teilnehmende Menschen erwartet und es war schrecklich zu entdecken, das die meisten Menschen in ihrer Unwissenheit ganz zufrieden waren und gar nicht das Bedürfnis nach mehr Wissen hatten. Sie wollten so leben wie sie lebten und waren mit dunkelblauen Sitzecken und Kiefernstollenwänden hellerbest zufrieden.

Ähnlich geht es mir hier auf Blog de. Jules hat schon recht, wenn er einen bunten Teppich Vielfalt hier sehen möchte. Das möchten wohl die meisten. Und der ist auch da, nur manchmal vielleicht nicht in der Qualität die ich für mich zum Mindeststandart erhoben habe.

Aber bunte Fäden webt hier jeder in die Gemeinschaft und es gibt auch meiner Meinung nach keine undurchsichtige Sphinx, die Abgesandte aussendet.

Vielmehr legen wir alle ein Angebot in unsere Blogschaufenster und manchmal gefällt mir auch eine Auslage und ich möchte mehr sehen und erfahren. Die Top-Tenliste informiert mich über die Modetrends und die Sonderangebote. Ob ich mich dem Trend anschließe, ein Sonderangebot kaufe, oder weiter mein eigenes Süppchen koche, bleibt mir überlassen.

Ob mein Süppchen anderen schmeckt oder nicht liegt nur in soweit in meiner Macht als das ich entscheide ob ich es ausschliesslich nach meinem Geschmack zubereite oder aber ob es anderen Bloggern denn auch schmecken soll. Wer für alle Geschmäcker kochen will, darf sich nicht wundern wenn er nur noch Einheitsbrei produziert. Und wer nur Fastfood auf der Karte hat wird den Gourmet sicher nicht zufrieden stellen. Es sei denn, der Gourmet hat grad mal Hunger auf nen Hamburger und stellt seine Ansprüche für die Dauer des Besuches zurück.

Boah, das hat mich jetzt echt hungrig gemacht und ich hab doch gefastet heute…
Also werd ich mir mal ’nen Kaffee kochen und extra für Jules
mit einem besonderen Gruß meine Kaffeetasse an den Monitor stubbsen
*Pling* und gute Nacht
Anne

Ps. Ich wünsch mir die aus Chats sicher allseits bekannte und beliebte Ignotaste zurück, dann könnte man unliebsame Listen und die sinnfreien Beiträge einiger Blog einfach auf „Igno“ klicken und man würde nicht ständig draufgestubbst.

Das wär doch mal ein nettes Osterei, gell verehrte Familie Blogde ?

4 Gedanken zu “Toptenlisten und andere Irrtümer

  1. Gut gesprochen, Anne.
    Meine „Sphinx“ ist nur ein Bild, das ich benutze, um die Wirkung auf den einzelnen zu beschreiben. Dann das Geschehen ist und bleibt rätselhaft, weil uns nie die erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, einzuschätzen, warum der eine Beitrag kommentiert wird, der andere nie.
    Die Wahrnehmung durch die anderen Menschen ist eine feine Sache, denn es ist „Soziale Energie“. Ein Kommentar kann bestätigend sein oder zu neuen Gedamken anregen. Er kann auch zum Widerspruch reizen, er kann unser Herz berühren. In jedem Fall ist das Bloggen eine Interaktion, die auf uns wirkt, ob wir wollen oder nicht. Wir wollen jedoch Reaktionen, sonst würden wir ein materielles Tagebuch führen. Das habe ich zehn Jahre intensiv getan. Doch nie zuvor bin ich so inspiriert worden wie durch die Sphinx Blogplattform.

    Auch genieße ich es, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die ich im realen Leben niemals treffen würde. Ein so erlesener Kreis von Menschen, mit denen man Freundschaft pflegt, lässt sich im wirklichen Leben nicht so leicht zusammenstellen. Natürlich sind einem die Menschen in der realen Welt näher. Doch man muss dies nicht gegeneinander ausspielen, es sind einfach zwei Paar Schuhe. Wir haben die Möglichkeit unser Leben um einen völlig neuen Aspekt zu ergänzen. Dabei besteht natürlich auch die Gefahr der Überschätzung. Denn wirkliche Einordnungskategorien für die Tätigkeit des Bloggens haben wir nur in Ansätzen. Es fehlen uns die Antennen, denn das Virtuelle funktioniert anders als es die menschlichen Wahrnehmungsorgane kennen.
    Eine Zeit lang habe ich eine wirkliche Beschleunigung meiner Gedanken erlebt. Es war anstrengend, denn das gehirn ist ein enormer Energieverbraucher. Auch wenn man viel schreibt, verbraucht man viel Energie, die manchmal im Allltag fehlt. Nun, ich lerne jeden Tag etwas dazu, und ich trainiere mein Schreiben so intensiv wie noch nie.

    Deshalb mache ich mir voele Gedanken über dieses neue Medium. Ich versuche, gedanklich zu durchdringen, was hier passiert. Nimm also meinen Text als bildhafte Beschreibung, aus einem Abstand heraus, der eine überindividuelle Sicht bieten will. Ein Anfang nur, doch ich lerne ja noch.

    Schöne Grüße
    Jules

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  2. Liebe Anne, dein Text gefällt mir sehr gut.Mittlerweile „juckt“ mich die Topliste nicht mehr. Manchmal ist es mir peinlich darin zu erscheinen, dumm was.
    Ich bin gespannt was aus der Liste noch wird, übrigens, Blog.de sollte wirklich mal über eine IgnoTaste nachdenken, auch finde ich sollten einige Benimmregeln aufgestellt werden …haarrrr
    Mit lieben Gruß, mauzzzz

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