ganz aktuell und 100 Jahre alt


Der Text dieses Gedichtes ist, des besseren Verständnisses wegen, noch mal unten abgetippt. Ich fand ihn in einem Kinderbuch das um 1900 das erste Mal erschienen ist. Der Dichter, Julius Sturm, galt allgemein als erzkonservativ ( er war Pfarrer) Ich finde besonders die letzten 3 Strophen dieses Gedichtes ausserordentlich aktuell. Man denke mal an den Karrikaturenstreit und die Geiselnahmen der letzten Wochen.
Ganz besonders mag ich auch die schöne Sprache, die ganz ohne Fremdwörter auskommt, und trotzdem auf mich gar nicht hölzern und altbacken wirkt, sondern in ihrer Schlichtheit einfach zeitlos treffend.
( 😉 Gell, Trithemius die konnten noch was, die Buchdrucker und Illustratoren damals. Extra für dich mit einem besonders schönen Initialbuchstaben.)
Text: Julius Sturm (1816-1896)
Illustration: Paul Thumann
Aus dem Kinderbuch ‚Loewes Kinderfreund‘ von 1907

vatersrat


Rat des Vaters an seinen Sohn

Du wanderst in die Welt hinaus
Auf dir noch fremden Wegen
Doch folgt dir aus dem stillen Haus
Der treusten Liebe Segen.

Ein Ende nahm das leichte Spiel,
Es naht der Ernst des Lebens;
Behalt im Auge fest dein Ziel,
Geh keinen Schritt vergebens.

Nimm auf die Schultern Last und Müh‘
Mit frohem Gottvertrauen,
Und lerne , wirkend spät und früh,
Den eigenen Herd dir bauen.

Wer sich die Ehre wählt zum Hort,
Den kann kein Schalk verführen;
Gerader Weg, Gerades Wort
Soll dich zum Ziele führen.

Halt hoch den Kopf, was dir auch droht,
Und werde nie zum Knechte;
Brich mit dem Armen gern dein Brot
Und wahre deine Rechte.

Treib nie mit heil’gen Dingen Spott
Und ehr‘ auch fremden Glauben,
Und lass dir deinen Herrn und Gott
von keinem Zweifel rauben.

Und nun, ein letzter Druck der Hand
Und eine letzte Bitte:
Bewahr‘ dir treu im fremden Land
Des Vaterhauses Sitte.

7 Gedanken zu “ganz aktuell und 100 Jahre alt

  1. Und mal ohne Käse…erst den Geruch.
    Ich finde, alte Bücher haben einen ganz eigenen, charmanten, charakteristischen Duft.
    Wenn man sich überlegt, wer dieses eine Buch schon in der Hand gehalten hat…was aus den Leuten geworden ist, aus den dahinterstehenden Schicksalen…das ist der eigentliche Zauber antiker Dinge, denke ich, nur um mit Bedauern festzustellen, dass man es nicht wissen kann.

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  2. Danke, liebe Anne, für dieses Blatt.
    Und lachen muss ich über „Mal ohne Käse…erst den Geruch“, nicht böse sein, Marieken, es ist einfach sehr komisch ;).
    Käsig riechen alte Bücher ja wirklich eher selten, zum Glück.

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  3. Dieses Gedicht habe ich, von meiner 1902 geboren Mutter, handschriftlich niedergeschrieben,zum ersten Mal in Original gesehen. Meine Mutter konnte es noch mit 89 Jahren fehlerfrei rezitieren.
    Vor allem die sechste Strophe hat im Januar 2015 eine besondere Bedeutung. Nach den furchtbaren Ereignissen in Paris mit den achtzehn Toten, und noch viele mehr in Mali
    und anderen Islamischen Ländern.
    Wären die Karikaturen von Charlie Hebdo auch veröffentlicht worden, wen die Herausgeber dieses Gedicht
    gelesen hätten?
    Gegenseitiger Respekt unter den verschiedensten Religionen wäre außerordentlich erstrebenswert.
    Wir sollten weiterhin hoffen!

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